Die Nordelbische, September 2009

HAMBURG – Dort wo fröhliches Geplauder durch die angelehnte Tür ins Treppenhaus dringt, muss sie sein, die Metropolitan Community Church (MCC), die „Kirche (nicht nur) für Schwule und Lesben“, wie sich die Gemeinde in Hamburg nennt. Es ist Sonntagabend, kurz vor 18 Uhr – Gottesdienstzeit.
Etwas zögernd öffne ich die Tür. Einige Männer und Frauen haben es sich im Raum dahinter auf den Sofas bequem gemacht und blicken mich erwartungsfroh an, während ich vergeblich versuche, unter der versammelten Schar den Pastor auszumachen.
Da ich keinen Mann im Talar, dafür aber einen mit Kollar am Kragen erblicke – ein doch recht deutliches Zeichen für einen Geistlichen – begnüge ich mich vorerst mit dieser optischen Information und wende mich einem Mann zu, der sich mir mit dem Namen Eckard vorstellt. Dass er mir sofort das Du anbietet, während er mir das „Gesangbuch“ – eine Mappe mit durchnummerierten Kopien – reicht, erstaunt mich kaum. Denn bereits auf der MCC-Internetseite werde ich geduzt. „Schön, dass du vorbeischaust“, heißt es da. „Folge einfach dem kleinen lila Mönch (Anmerkung Webmaster: Das war die Version der Seite bis 21.12.10) (berühre ihn sanft mit deiner Maus) und du lernst uns Schritt für Schritt kennen.“
Einen lila Mönch gibt es zwar nur in der virtuellen Kirche, aber ziemlich bunt, genau genommen regenbogenbunt sind auch die Räume der MCC und die Menschen.
Vertrauensvoll setze ich mich neben Eckard in die zweite Stuhlreihe. Mit dem blauen Teppich verströmt der kleine Kirchenraum Wohnzimmeratmosphäre, die Kanzel erinnert ziemlich stark an einen Notenständer. Und beinahe fühle ich mich zurückversetzt in Zeiten urchristlicher Hausgemeinden. Zwar muss sich die 1988 gegründete Freikirche nicht wie die ersten Christengemeinden verstecken, aber von den etablierten Großkirchen wird de schwullesbische Sonderweg kritisch ablehnend beäugt.
Matthias stimmt am E-Piano das Eingangslied an: „Geh unter der Gnade“ – fröhlich schmettere ich das bekannte Lied mit, und der folgende Gottesdienstablauf mutet fast landeskirchlich konventionell an. Wären da nicht die kleinen feinen Unterschiede, die mich spüren lassen, dass hier eine junge ökumenische Basisgemeinde bestehende Konventionen durchbricht.
„Wie glauben an den einen Gott, Schöpferin aller Dinge. Den Gott der Liebe und der Gnade“, heißt es im Glaubensbekenntnis. Dass Gott im einen Moment grammatikalisch weiblich und im nächsten männlich ist, verwundert hier niemanden. Auch nicht, dass Jesus „mit seinen Freundinnen und Freunden“ zusammensaß in der Nacht, da er verraten ward. Die Anliegen feministischer Theologie sind bei dem Hamburger Ableger der 1968 in Los Angeles gegründeten Metropolitan Community Church ganz selbstverständliche Praxis geworden.
Wer jedoch aus einer katholischen Tradition stammt, dem dürfte das fast als Blasphemie erscheinen, dass ein Mann und eine Frau gleichzeitig das Abendmahl vorbereiten und die Einsetzungsworte im Wechsel sprechen.
Mir als junge Protestantin gefällt es jedoch. Und was mir noch besser gefällt, ist die gemeinsam gesprochene Absolution. Nicht der Pastor allein spricht die Vergebung der Sünden zu. Alle gemeinsam antworten auf das Schuldbekenntnis: „Gott vergebe dir, Christus erneuere dich und der Geist befähigt dich zum Wachstum in Liebe.“ – Das hat Macht denke ich. Und ich verlasse den Gottesdienst beschwingt und irgendwie auch ein bisschen neidisch auf diese kirchliche Gemeinschaft, die so freimütig verfestigte kirchliche Traditionen aufbricht.
Hamburger Morgenpost 3.8.2009

Für die katholische Kirche ist Homosexualität Sünde, Ehe nur für Mann und Frau bestimmt, und in geistlichen Ämtern werden Homosexuelle nicht geduldet. Auch in vielen protestantischen Kirchen besteht die Auffassung, dass nur die heterosexuelle Ehe wirklich gottgewollt sei. Doch was tun, wenn man sich als Homosexueller trotzdem zur Kirche hingezogen fühlt?
Mark Terence Jones (40) aus St. Georg ist gläubiger Katholik und schwul. Seit seinem zehnten Lebensjahr wollte der gebürtige Nordrhein-Westfale Priester werden. Seinen Eltern zuliebe macht er zunächst eine kaufmännische Ausbildung, geht als 22-Jähriger in eine Schule für Priesteranwärter. In dieser Zeit lernt er seinen ersten Freund kennen und verlässt die Schule. "Da wir uns verliebt hatten, konnten wir ja nicht mehr Priester werden", so Jones. Doch der Glaube ist so stark, dass es ihn ein paar Jahre später in ein Männerkloster bei Regensburg zieht. Als er sich dem dortigen Generalpropst (Klostervorsteher) anvertraut, rät der ihm, das Kloster zu verlassen. "Ich war zwar enttäuscht, aber heute bin ich ihm dankbar. Ein Doppelleben wäre für mich nie in Frage gekommen."
Genauso wenig wie aus der Kirche auszutreten. "Es gibt doch in jeder Kirche Probleme. Und ich fühle mich sehr wohl in der katholischen Kirche, finde toll, wie sie sich engagiert. Außerdem lehnt sie mich nicht als Menschen ab, sondern mein Sexualleben. Und ich definiere mich ja nicht nur darüber." Dennoch würde er sich freuen, wenn der Papst ein Zeichen setzt: "Ich erwarte nicht, dass er sich morgen auf den Balkon stellt und ruft: ,Ihr Homosexuellen seid toll.` Aber ich erwarte, dass er mit uns in den Dialog tritt."
Eine Meinung, die auch der homosexuelle Protestant Felix Gedanke (20) aus Ohlsdorf teilt. Der Student verspürte bereits als Achtjähriger ein tiefes Gottvertrauen, betete jeden Abend. "Ich finde es überzogen, dass die Kirche es an zwei, drei Bibelstellen festmacht, dass Homosexuelle nichts in der Kirche verloren haben", sagt er. Er erinnert sich an Horst Gorski, einen Probst aus Altona, der sich im vergangenen Jahr zur Wahl zum Bischof für Schleswig und Holstein stellte. "Damals entbrannte eine absurde Diskussion darüber, ob ein Schwuler Bischof werden darf. Dabei sollte es doch vielmehr um seine theologischen Fähigkeiten gehen", findet Gedanke.
Auch Thomas Friedhoff (53), Pastor aus St. Georg, ist gläubig. Er studierte Theologie, engagierte sich jahrelang in einer evangelischen Freikirchen-Gemeinde. Doch als er kurz vor der Einsegnung zum freikirchlichen Pastor beichtet, dass er homosexuell ist, muss er kündigen.
"Danach wollte ich erst mal nichts mehr mit Kirche und Religion zu tun haben", erzählt er. 1985 gründet er schließlich eine Gruppe für Homosexuelle, aus der dann die Basisgemeinde der "Metropolitan Community Church" (MCC) wird. In ihrem christlichen Glaubensverständnis unterscheidet sich diese nicht von den etablierten Kirchen, aber Homosexuelle sind hier willkommen. Inzwischen fühlen sich etwa 100 bis 150 Menschen seiner Gemeinde zugehörig. Jeden Sonntag um 18 Uhr treffen sie sich in den Räumen am Steindamm in St. Georg zum Gottesdienst. Auch Partnerschaftssegnungen werden hier vorgenommen.
Und auch wenn Kritiker ihm vorwerfen, er würde sich mit einer eigenen Kirche für Schwule und Lesben aus der christlichen Gemeinde ausschließen, für Pastor Friedhoff steht fest: "Ausgrenzen wollte ich mich nie. Aber andererseits: Warum soll ich permanent für meine Identität kämpfen?"
- Mark Terence Jones (40), schwuler Katholik aus St. Georg: "Die Kirche lehnt mich nicht als Menschen ab, sondern mein Sexualleben."
- Schwuler Pastor
Thomas Friedhoff (53), Pastor aus St. Georg, gründete seine eigene Kirche, in der Homosexuelle gewollt sind: "Ich wollte mich nicht ausgrenzen, aber andereseits: ,Warum soll ich permanent für meine Identität kämpfen?`"
- Der schwule Protestant
Felix Gedanke (20) aus Ohlsdorf ist homosexueller Protestant: "Ich finde es überzogen, dass die Kirche es an zwei, drei Bibelstellen festmacht, dass Homosexuelle nichts in der Kirche verloren haben."

Der Spiegel, Juli 1995

Die Metropolitan Community Church gewährt Schwulen und Lesben religiöse Zuflucht.
Wir lieben Menschen, grad' weil sie anders sind", singen 30 Männer und 5 Frauen. Beim Refrain, einem inbrünstigen Hal-le-lu-ja, beugt sich Thomas Friedhoff, 39, zu seinem Freund und drückt ihm einen Kuss auf die Lippen. Als er sich wieder aufrichtet, wird an seinem schwarzen Hemd ein Priesterkragen sichtbar. Friedhoff geht in die Mitte des Saals und sagt: „Im Namen Gottes, der uns Vater und Mutter ist."
Friedhoff ist Pastor der Kirche für Schwule und Lesben in Hamburg. Wie jeden Sonntagabend feiert die „Metropolitan Community Church" (MCC) im CVJM-Haus an der Alster ihren Gottesdienst. Die Idee einer eigenen Kirche für Homosexuelle findet immer mehr Anhänger: In Köln hat sich ebenfalls eine Gemeinde gebildet, und auch in Frankfurt wirbt ein MCC-Aktivist um Brüder und Schwestern für eine neue Gruppe.
Der von seiner Kirche gefeuerte schwule Pastor Troy Perry hatte 1968 in Los Angeles die erste MCC-Gemeinde gegründet. „Metropolitan" steht für den Großraum Los Angeles, „Community" für die Gemeinschaft der Gays. Inzwischen gibt es in 14 Ländern mehr als 288 MCC-Gemeinden. Die größte, in Dallas, hat für 3,5 Millionen Dollar eine eigene Kirche gebaut, die „Kathedrale der Hoffnung". Vor dem Altar, einem Winkel aus rosa Marmor, versammeln sich sonntags bis zu 1400 Gemeindeglieder.
Zur Hamburger Gemeinde gehören rund 100 Lesben und Schwule, davon sind 25 feste Mitglieder. „Wir wollen eine Kirche, in der wir mehr sind als gerade noch geduldete Seelsorgeempfänger", sagt Friedhoff. 60 Prozent der Hamburger MCC-Mitglieder, schätzt er, waren in einer anderen christlichen Kirche, bevor sie zur schwulen Basisgemeinde kamen.
Friedhoff gelangte über die Jesus-People zu einer Baptisten-Gemeinde und studierte Theologie. Als er sich während der Vorbereitungszeit aufs Pfarramt outete, stellte der Gemeindevorstand ihn vor die Alternative: kündigen oder gekündigt werden. „Und ich war damals so blöd, selbst zu gehen", sagt Friedhoff heute.
Ein Drittel der Hamburger MCCler kommt wie ihr Pastor aus evangelischen, meist fundamentalistischen Freikirchen, die Homosexualität schlicht zur Sünde erklären. Folglich haben Lesben und Schwule in ihren Reihen keine Chance, akzeptiert zu werden.
Obgleich sich in den evangelischen Landeskirchen viele Theologen und Laien für sexuelle Minderheiten stark machen, fehlt der in manchen Gemeinden praktizierten Liberalität noch immer der kirchenamtliche Segen. Die evangelischen Bischöfe von Hamburg, Schleswig und Lübeck etwa wenden sich in einem Konsenspapier zwar gegen die Diskriminierung Homosexueller in der Gesellschaft. Für ihre Gemeinden aber gelten andere Regeln: „Das Zusammenleben homosexueller Paare im Pastorat ist mit der Leitbildfunktion des Pastors oder der Pastorin nicht vereinbar."
Ob sich das oberkirchenrätliche Denken noch vor dem Jüngsten Tag ändert, ist fraglich. Die MCCler sind es leid, in den großen Kirchen immer wieder die Frage diskutieren zu müssen, ob Homosexualität mit christlicher Ethik zu vereinbaren sei. Sie möchten jetzt schon schwul und gläubig sein und sich dafür nicht ständig rechtfertigen müssen. „Wir wollen ein Netzwerk zur Selbsthilfe sein", sagt Friedhoff.
Den Apostel Petrus, der im See Genezareth zu versinken droht, vergleicht er mit dem Schwulen, den Freunde und Kollegen nach dem Coming-out fallenlassen. „Ich fühle mich wohl in unserer Ghettokirche", sagt Frieder, der im Gottesdienst Gitarre spielt. Im Ghetto gibt's kein kunsthistorisch wertvolles Kreuzrippengewölbe und keine majestätische Orgel, aber Nestwärme. Bei Gottesdiensten im CVJM-Saal oder im Freien dient ein Tisch, geschmückt mit einem gebatikten Regenbogen, als Altar. Zum Abendmahl wird Traubensaft aus einem Steingutbecher kredenzt.
Pastor Friedhoff ist mit 14 Wochenstunden angestellt. Sein Gehalt, das sich nach dem Tarif des Öffentlichen Dienstes für Sozialarbeiter bemisst, kommt aus Spenden und freiwilligen Mitgliedsbeiträgen zusammen. Halbtags arbeitet Friedhoff beim Hamburger Aids-Präventionsprojekt „Hein & Fiete". Seit sich dort herumgesprochen hat, dass er Pastor ist. „nehmen mich schon mal Jungs beiseite und stellen mir mit hochgeklapptem Mantelkragen theologische Fragen".
Den schwulen Mitchristen jedoch ist die MCC ein Dorn im Auge. Reinhard Schünemann von der ökumenischen Arbeitsgruppe „Homosexuelle und Kirche" (HuK) fragt: „Muss das sein?" Die HuK kämpft für Schwulenrechte in den großen Kirchen, und Schünemann findet es „grundsätzlich schade, wenn Brüder und Schwestern von der Kirche die Schnauze voll haben und ihren eigenen Kram machen".
Auch Alexander Hottes, der Frankfurter MCC-Aktivist, hat die christliche Bruderliebe schon zu spüren bekommen: „Normale Schwulengruppen begrüßen unser Engagement, aber von der HuK und der Schwulen Katholischen Gemeinde gab's großen Widerstand."
Jede MCC-Gemeinde ist autonom. Sie schickt lediglich einmal im Jahr einen Plan an den Vorstand des europäischen Distrikts in England. Die Hamburger Gruppe ist mittlerweile in die Klasse der privilegierten Gemeinden aufgestiegen: Sie muss nur noch alle fünf Jahre einen neuen Plan vorlegen. Darüber hinaus findet keine Kontrolle der Rechtgläubigkeit statt.
Die MCC versteht sich als überkonfessionelle Basisgemeinde. In den Liedern und der Liturgie legt sie großen Wert auf „inklusive Sprache", die Frauen nicht semantisch diskriminiert. Das Gesangbuchlied „Ich steh' in meines Herren Hand" haben die Jungs umgedichtet, es heißt jetzt „Ich steh' in meines Gottes Hand". Und unter dem Glaubensbekenntnis steht als Fußnote, dass der Heilige Geist im Hebräischen „mach" heißt und weiblich ist.
Offiziell nennt sich die MCC „Kirche (nicht nur) für Lesben und Schwule". Doch der Zusatz in Klammern, die Heterosexuellen, sind faktisch eine winzige Minderheit. „Wir hatten lange eine Vorzeige-Hete", gesteht Friedhoff, „aber die ist ohne unser Zutun lesbisch geworden."
Hamburger Morgenpost, Februar 1992: 
Verein vermietet Räume an „Kirche für Lesben und Schwule"
Der „Christliche Verein junger Menschen“ (CVJM) in Hamburg vermietet seine Räume an die „Kirche für Lesben und Schwule". Jeden Sonntag feiert die „Metropolitan Community Church" (MCC) ihre Gottesdienste im CVJM-Heim An der Alster 40. „Ich glaube, Gott liebt Schwule genauso wie Heteros", begründet Hamburgs CVJM-Geschäftsführer Frank Tofern seine Zustimmung. Bestürzt reagierte der CVJM-Gesamtverband Kassel: Homosexualität sei eine Fehlentwicklung" und mit der biblischen Botschaft nicht vereinbar.
„Die MCC ist eine Christliche Kirche, gegründet 1968 in den USA, um Menschen, die in anderen Kirchen diskriminiert werden, eine geistliche Heimat zu bieten", erläutert MCC-Pastor Thomas Friedhoff. In Hamburg leben nach seiner Schätzung etwa 160.000 Homosexuelle.
Doch ihr neues Heim in den CVJM-Räumen ist innerhalb des CVJM umstritten. Pressesprecher Reinhart Weiss betrachtet Homosexualität nicht nur als Fehlentwicklung", sondern glaubt auch zu wissen, daß Homosexuellen geholfen werden könne, in dem man sie „behutsam von ihrer Neigung abbringt“.
Eine Einstellung, die viele Hamburger Pastoren nicht teilen. Pastorin Angela Rosenthal-Beyerlein (Apostelkirche-Eimsbüttel) etwa sieht im Homosexuellen-Gottesdienst keinen Konflikt: „Wir müssen die Bibel aus heutiger Sicht interpretieren."
Der Altonaer Pastor Axel Braun bedauert, daß Gleichgeschlechtliche eine eigene Kirche bilden müssen: „Sie könnten auch in der traditionellen Kirche ihren Platz finden.“
„Auch heute noch werden homosexuelle Pastoren diskriminiert und mit Berufsverboten bedroht", sagt MCC-Pastor Friedhoff. Selbst wohlmeinende Seelsorger der traditionellen Kirchen seien oft mit den Problemen von Lesben und Schwulen (Sexualität, Partnerschaft, Aids) überfordert.
Repressalien gegenüber Homosexuellen seien „durch nichts zu rechtfertigen", stellte Friedhoff fest. Auch im CVJM gebe es homosexuelle Menschen, die die MCC-Gottesdienste besuchten, erklärte er. Für Beate Ebert (31), Sozialarbeitern) und Lesbe, aus einer traditionellen Kirche wegen ihrer Neigung hinausgeworfen: „Die MCC erlaubt mir erstmals, mich zu meinem Lesbensein zu bekennen.“
TAZ, Februrar 1992:
Gott liebt Schwule genauso wie Heteros", lobpreisen die Gastgeber / CVJM-Zentrale wirft den Hamburgern mit der „biblischen Botschaft gegen Homosexualität" einen Fehdehandschuh vor die Füße
Die Hamburger „Kirche für Lesben und Schwule" feiert seit letztem Sonntag ihre Gottesdienste in den Räumen des Christlichen Vereins junger Menschen (CVJM) an der Alster. Die Homosexuellen-Gemeinde mit ihren 80 Schäfchen wurde 1988 von dem ehemaligen Baptisten Pastor Thomas Friedhoff (35) ins Leben gerufen - als Antwort auf die Ausgrenzung der großen Kirchen. Sie ist die einzige deutsche Niederlassung der „Metropolitan Community Church" (MCC), die 1968 in den USA gegründet wurde. Weltweit zählt sie 40.000 Mitglieder in 260 Gemeinden.
„Wir möchten Lesben und Schwule mit der befreienden guten Nachricht von Jesus Christus vertraut machen", definiert Friedhoff sein Anliegen. Damit die Nachrichtenverbindung zu den etwa 160 000 in Hamburg lebenden Homosexuellen zustande kommt, will seine Kirche so dicht wie möglich bei ihren potentiellen Schäfchen sein - im Stadtteil St Georg, wo sich das schwullesbische Leben schwerpunktmäßig abspiele. Deshalb ist sie aus ihren bisherigen Räumlichkeiten im Winterhuder „Magnus-Hirschfeld-Centrum" ausgezogen.
Für die schwullesbische Mission stellte der Christliche Verein junger Menschen sein Haus an der Alster aus freien Stücken zur Verfügung. „Ich glaube, daß Gott Schwule genauso liebt wie Heteros", begründete CVJM-Geschäftsführer Frank Tofern (35) die Entscheidung. Kirchliche Repressalien gegenüber homosexuellen Menschen seien „durch nichts zu rechtfertigen" Gleichgeschlechtlich Liebende, die die MCC-Gottesdienste besuchen, gibt es nach seinen Werten auch im CVJM.
Auf Unverständnis stieß die frohe Botschaft 300 Kilometer weiter südlich beim CVJM-Gesamtverband in Kassel. „Wir wissen uns der biblischen Botschaft verpflichtet und betrachten deswegen Homosexualität als Fehlentwicklung", erklärte Pressesprecher Reinhart Weiss. Wie Erfahrungen zeigten, könne Homosexuellen geholfen werden, indem man sie „behutsam von ihrer Neigung abbringt".
Wenn der sexualpädagogische Zeigefinger nicht mehr ausreicht, droht die CVJM-Zentrale mit der Peitsche. Sie fordert, offen homosexuell lebende Christen durften nicht als Beschäftigte im CVJM angestellt werden. Das verriet Klaus Martin Janssen, Bundessekretär des CVJM-Nordbundes in Hamburg.
Einem Konflikt angesichts dieser Gegenpositionen sehen die CVJM-Nordlichter „mit Gelassenheit entgegen", so ihr Geschäftsführer Frank Tofern. Der CVJM Hamburg sei als eingetragener Verein „finanziell und organisatorisch unabhängig".

Hinnerk 1996

„Oh mein Gott, meine Freundin, Du begleitest mich auf meinem Weg." Vielstimmig klingt die Liedzeile durch den hohen, mit Stuck verzierten Raum. Ein Tisch steht in der Mitte, liebevoll hergerichtet, jedoch etwas spartanisch geschmückt. Ringsum sind Stühle aufgestellt, die Gemeindemitglieder folgen der Zeremonie teils fröhlich, teils ernsthaft. Der Gottesdienst der Metropolitan Community Church scheint sich nicht von dem anderer Freikirchen zu unterscheiden. Gut, ein Kruzifix ist nicht zu entdecken, aber selbst in bayerischen Klassenzimmern ist ja mittlerweile konstruktiver Unterricht ohne den Wurzelsepp möglich. Nein, der Unterschied besteht lediglich darin, dass es sich bei den Mitgliedern fast ausschließlich um Schwule und Lesben handelt.1968 wurde die MCC von einem schwulen Pastor gegründet, der aus seiner eigenen Kirche aufgrund seiner Homosexualität ausgeschlossen worden war. Seit 1988 gibt es auch einen Hamburger „Ableger". Die Idee der Gemeinschaft besteht darin, eine für alle Menschen offene Kirche anzubieten, die nicht diskriminiert, und die keinen Wert auf eine bestimmte sexuelle Orientierung legt. Für einige Mitglieder ist es so der erste Umgang mit einer Kirche überhaupt, viele jedoch kehrten den etablierten und den freien Kirchen aus Enttäuschung den Rücken, oder wurden regelrecht herausgeworfen. Jürgen beispielsweise wurde von der Neuapostolischen Kirche seiner Ämter enthoben, damit er „seine Mitbrüder nicht mit seinem gottlosen Wesen verseuche". Die MCC erlaubt einen kirchlichen (Neu-)Anfang. „Hier ist es möglich, die eigene Energie ganz auf den Glauben, auf Gott und auf ein positives Miteinander zu konzentrieren" meint Thomas Friedhoff, der Pastor der Gemeinde. Jesus steht im Vordergrund, nicht der Kampf um Verständnis für die eigene Homosexualität, keine Rechtfertigungsarien, und, Gott sei Dank, kein gütiger Zuspruch mehr, man werde das Problem mit etwas gutem Willen und gemeinsamen Gebet schon wieder in den Griff bekommen.
Die Position der Bibel zum Thema Homosexualität scheint eindeutig: „Macht Euch nichts vor! Menschen, die mit Partnern aus dem eigenen Geschlecht verkehren.... werden nicht in Gottes neue Welt kommen." (1.Kor. 6,9+10) Thomas sieht das etwas anders: Für ihn ist die Bibel nicht das Wort Gottes. Sie sei von Menschen geschrieben, die Gott sicherlich nahestanden, die jedoch auch ihrem gesellschaftlichen Umfeld verpflichtet waren. Bei der Interpretation müsse deshalb der geschichtliche Kontext berücksichtigt werden. Thomas geht sogar noch einen Schritt weiter: „Ich glaube, dass Homosexualität Gott-gewollt ist." Schwule und lesbische Beziehungen könnten etwa heterosexuelle Rollenklischees überwinden und andere Formen menschlichen Zusammenlebens aufzeigen.
Der Gott der MCC ist ein liebender Gott, der Gott des Evangeliums: „Durch Jesus Christus, unseren Herrn, hat Gott uns seine Liebe geschenkt. Darum gibt es in der ganzen Welt nichts, was uns jemals von Gottes Liebe trennen kann." (Rom 8,39) C'est ca! - Regeln und Vorschriften sind zweitrangig. Ob man schwul ist oder hetero, ob man monogam lebt oder in der Promiskuität seine Erfüllung findet, ist völlig egal. Und wenn sich Grenzen verwischen, was spielt es dann noch für eine Rolle, ob Gott männlich ist oder weiblich ist oder...